Der Magier - Die Biographie des Paulo Coelho
Autor: Fernando Gomes de Morais
Verlag: Diogenes Verlag
Umfang: 708 Seiten
Kurzinformation zum Buch
Die erste große Biographie eines der bekanntesten und zugleich rätselhaftesten Menschen unserer Zeit: Paulo Coelho. Eine ebenso faszinierende wie auch streckenweise schockierende Lektüre, denn ›Der Magier‹ basiert auf mehr als 200 Tagebüchern und 100 Tonbändern, die Coelho jahrelang in einer Truhe unter Verschluss gehalten hatte.
Leseprobe aus »Der Magier - Die Biographie des Paulo Coelho«
Paulo und Raul
Paulo Coelho gibt es nicht mehr. Er hat sich für den Satanskult den Namen Luz Eterna (Ewiges Licht) oder Staars zugelegt.
Allein oder gemeinsam mit Gisa hatte Paulo in letzter Zeit einige der sogenannten Exerzitien oder magischen Praktiken des Satanismus ausprobiert. Eine häufige Übung bestand darin, sich zunächst aus einem Garten ein Blatt einer Sansevieria trifasciata zu besorgen, in Brasilien Schwert des heiligen Georg genannt. In der Öffentlichkeit setzte sich der Novize damit einer gewissen Lächerlichkeit aus, denn wenn er sich das Blatt besorgt hatte, musste er es wie ein echtes Schwert zücken, zehn Schritte gehen, mit dem »Schwert« der Reihe nach in alle vier Himmelsrichtungen weisen, sich verbeugen und, beginnend mit dem Westen, aus voller Kehle schreien: »Die Kraft liegt im Westen!« Zu jedem Schritt nach links musste er einen Schrei ausstoßen, dabei den Blick gen Himmel richten: »Die Weisheit liegt im Süden! Der Schutz liegt im Osten! Der Sieg liegt im Norden!«
Zu Hause wurde dann das Blatt in elf Stücke gehackt (elf ist die magische Zahl der Thelema-Theorie), und zwar mit einem normalen Messer oder Taschenmesser, das erst in Erde gestochen, dann über Feuer erhitzt und zum Schluss in Meerwasser gewaschen werden musste. Anschließend wurden die Stücke auf dem Küchentisch zum Marssymbol angeordnet – ein Kreis und obendrauf ein kleiner Pfeil, wie das Symbol für das männliche Geschlecht –, und gleichzeitig wurde in einem Topf Wasser aufgesetzt und, wenn es kochte, das Häufchen Sansevieria-Schnipsel zusammen mit den zerzupften Blütenblättern zweier gelber Rosen dazugegeben. Die ganze Zeremonie musste so ausgeführt werden, dass der dabei entstehende dickflüssige Schleim genau um elf Uhr abends – dem Liber Oz zufolge die Sonnenstunde – fertig war und warmem Badewasser beigegeben werden konnte, in dem Paulo jeweils bis Mitternacht, der Venusstunde, liegen sollte. Nach einer solchen Übung trocknete Paulo sich ab und schrieb im Licht einer Kerze in sein Tagebuch:
Dieses Ritual mag ausgesprochen naiv wirken. Es hat insgesamt fast zwei Stunden gedauert. Aber ich kann sagen, dass ich die meiste Zeit mit einer anderen Dimension in Kontakt stand, wo alle Dinge nach den Gesetzen (Causas Segundas) miteinander verbunden sind. Ich ahne den Mechanismus, kann ihn aber noch nicht verstehen. Auch nicht mit dem Verstand erfassen. Ich spüre nur, dass die Intuition ganz ähnlich wie der Verstand funktioniert und dass diese beiden Bereiche sich fast berühren. Etwas veranlasst mich zu glauben, dass der Dämon tatsächlich existiert.
Eine andere Zeremonie, die er auch häufig durchführte, war das »Ritual des Kleinen Pentagramms«, wofür er ein weißes Laken auf dem Fußboden ausbreitete und darauf einen grünen fünfzackigen Stern malte. Drum herum legte er eine schwefelgetränkte Schnur und formte sie zum Marssymbol. Alle Lampen wurden ausgeschaltet, nur eine einzige Glühbirne hing von der Decke genau über dem Mittelpunkt des Pentagramms, um eine Lichtsäule zu simulieren. Mit einem Schwert in der Hand trat er vollkommen nackt, nach Süden gewandt, in die Lakenmitte, nahm die Yogaposition »Drachen« ein – für die man in die Hocke geht –, hüpfte dann mehrmals wie ein Frosch hoch und rief dazu mit lauter Stimme den Dämon an. Eine dieser Zeremonien nahm ein ungewöhnliches Ende, wie im Tagebuch festgehalten:
Nach der ersten halben Stunde störten meine persönlichen Probleme ernsthaft meine Konzentration, was mich viel Energie kostete. Ich wechselte vom Drachen-Asana zum Ibis-Asana, bis ich schließlich in der Kreismitte hockte und mich schüttelte. Das erregte mich sexuell, bis ich masturbierte, wobei ich an keine Frau dachte, nur an die Lichtsäule über dem Kreis. Ich ejakulierte in mehreren Kontraktionen zu der Lichtsäule hinauf. Das war für mich wie eine endgültige Weihe. Natürlich kamen mir beim Masturbieren allerhand Schuldgefühle, aber das legte sich schnell, ich war viel zu erregt.
In dieser Phase bereitete sich Paulo also auf sein erstes Gastspiel in Mato Grosso vor, während er gleichzeitig die Texte und Comicgeschichten für die Tribuna und andere Blätter, für die er auch arbeitete, fertigschrieb. Am Programm, das er für seinen Kurs tippte, hätte ein Laie nichts Magisches oder Diabolisches entdecken können. »Das war mein Trick, damit niemand etwas merkt«, gestand er später, »denn es war natürlich absolut unverantwortlich, im Unterricht für Lehrer und Jugendliche magische Techniken und Rituale einzusetzen. [. . .] Ich praktizierte schwarze Magie – ich benutzte die nichtsahnenden Leute für meine magischen Experimente.«
Vor seiner Abreise musste Paulo noch bei Frater Zaratustra die Erlaubnis erbitten, im Kurs die Smaragdtafel von Hermes Trismegistos zu verwenden, ein Vademekum mit dreizehn Geboten, so größenwahnsinnig wie die von Crowley – im Stil von »Mit diesen Mitteln kannst du allen Ruhm der Welt erringen«, »Alles Obskure wird dich fliehen« oder »Deine Kraft ist allen anderen Kräften überlegen«. Nicht ahnend, dass sie als Versuchskaninchen für Experimente einer Satanssekte benutzt werden sollten, empfingen ihn die Menschen in Mato Grosso mit offenen Armen. [...]
Zurück in Rio, erfuhr Paulo von einem Kollegen bei der Tribuna, dass die Redaktion von O Globo jemanden suche. Es war sehr verlockend, für die Zeitung zu schreiben, die sich selbst als »die größte Zeitung des Landes« pries. Es gelang ihm, einen Vorstellungstermin bei Iran Frejat zu bekommen, dem gefürchteten Chefreporter. Wenn er es schaffte, bei der Zeitung der Familie Marinho angenommen zu werden, dann hatte er wahrhaftig ein Werkzeug, mit dem er das Gedankengut des o. t. o. verbreiten konnte. In seiner Korrespondenz mit Frater Zaratustra hatte er der Sekte mehrfach angeboten, die Seite in der Tribuna zu nutzen, doch war man nie darauf eingegangen. Als er Raul Seixas gegenüber erwähnte, dass er sich für eine Stelle bei O Globo interessiere, versuchte dieser ihn davon abzubringen und schlug ihm erneut eine Zusammenarbeit in der Musik vor:
»Vergiss es. Du wirst dich bei überhaupt keiner Zeitung bewerben. Wir werden Musik machen. Der Fernsehsender tv Globo will ein Remake von Beto Rockefeller machen [eine innovative, sehr erfolgreiche Telenovela, die 1968–69 vom danach aufgelösten Sender tv Tupi ausgestrahlt wurde] und hat mich mit der Musik beauftragt. Lass uns das zusammen machen. Ich komponiere, und du schreibst die Texte.«
Während Paulo sich ziellos zwischen Übernatürlichem und der Notwendigkeit bewegte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, beschäftigte Raul sich ausschließlich mit Musik und arbeitete an seiner Karriere als Sänger. Er hatte eine lp auf den Markt gebracht – Sociedade da Grã Ordem Kavernista –, die er ein paar Wochen vor seiner Kündigung sozusagen heimlich bei cbs aufgenommen hatte, und bereitete sich für die Teilnahme an dem vom Medienkonzern Rede Globo veranstalteten siebten Festival Internacional da Canção vor. Für Paulo hätte die Zusammenarbeit mit Raul bedeutet, sich wieder der Lyrik zuzuwenden, was er sich geschworen hatte, nie mehr zu tun. Für den Moment erschien ihm daher die Stelle bei O Globo erstrebenswerter, also bewarb er sich. Zum vereinbarten Vorstellungstermin erschien er pünktlich im Redaktionsgebäude in der Rua Irineu Marinho, meldete sich bei dem (sichtlich schlechtgelaunten) Chefreporter, setzte sich in eine Ecke und wartete darauf, aufgerufen zu werden. Zu Hause hatte Paulo noch für alle Fälle ein Buch mit Gedichten von San Juan de la Cruz eingesteckt, das ihm über die Wartezeit helfen sollte. Um zwei Uhr mittags, eine Stunde nach seiner Ankunft, hatte Frejat ihn noch keines Blickes gewürdigt, obwohl er mehrmals an ihm vorbeigegangen war, Anweisungen gegeben und Papiere auf den Tischen verteilt hatte. Paulo stand auf, schenkte sich aus einer Thermoskanne Kaffee ein, zündete sich eine Zigarette an und setzte sich wieder. Als es drei Uhr wurde, platzte ihm der Kragen. Er riss die Seiten aus dem Buch, zerfetzte sie in kleine Schnipsel, stand auf und warf Frejat den ganzen Haufen auf den Tisch. Der Chefreporter war so verblüfft, dass er laut auflachte:
»Was soll das, junger Mann? Sind Sie verrückt geworden?« Paulo zischte wütend: »Seit zwei Stunden warte ich hier, haben Sie das nicht gemerkt? Machen Sie das nur, weil ich mich um eine Stelle bewerbe? Das ist doch einfach rücksichtslos!«
Frejat reagierte überraschend:
»Gut, gut, ich entschuldige mich. Sie möchten also die Stelle haben? Dann machen wir einen Test – wenn Sie den bestehen, können Sie sofort bei uns anfangen. Also nichts wie los! Gehen Sie zum Krankenhaus Santa Casa da Misericórdia, und zählen Sie die Toten.«