Der Glanz der Welt

Autor: Michael Amon
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 256 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Mord mit einer Prise Satire im Sumpf von Politik, Wirtschaft, Obsessionen und Leidenschaften

Eines Tages fällt ein Körper vom Stephansdom. Genau vor die Nase von Michele, einem Müßiggänger 
und Privatier, der sich auch als Freizeitkriminalist betätigt. 
Die Umstände sind rätselhaft: Wieso wurde Sensationsreporter Himmel schon vor der Tat ein Bild des Tatorts zugespielt? Welche Geschäfte plant der kleine Kreis um Grapschmann, den ehemaligen Finanzminister? Und wieso mag seine Frau Fifi keine Polenta?

Im Giacomos, dem angesagtesten Lokal der Stadt, treffen alle Protagonisten regelmäßig aufeinander. Es ist eine kleine Welt, in der jeder jeden kennt. Auch eine Runde von schauspielernden Theaterfanatikern trifft sich dort. Es stellt sich heraus, dass der Tote aus diesem Kreis kommt, früher allerdings Mitarbeiter von Grapschmann war. Michele und Abteilungsinspektor Pirchmoser kommen vorerst mit ihren Nachforschungen nicht weiter. Da geschieht erneut ein dramatischer Mord. Doch es braucht zwei weitere Morde, bis langsam klar wird, worum es wirklich geht …

Vor dem Hintergrund der Wiener Innenstadt entfaltet sich das Panorama einer feinen Gesellschaft, die nicht ganz so fein ist, wie sie zu sein vorgibt.

Der vorliegende Kriminalroman ist der erste der jeweils in sich abgeschlossenen Bände seiner „Wiener Trilogie der Vergeblichkeiten“.

Leseprobe aus »Der Glanz der Welt«

1. KAPITEL: Ein Toter fällt vom Himmel

Es war völlig normal, dass dir an einem milden Herbstvormittag eine Leiche beinahe auf den Kopf fiel. Du musstest dafür gar nicht viel tun. Bloß nach dem Aufstehen keine Lust haben, dir ein Frühstück zu machen – Zähneputzen ist schließlich schlimm genug –, und gegen den guten Vorsatz von gestern doch wieder in dein Stammcafé gehen, eine Trinkschokolade und zwei Kipferln bestellen, in den internationalen Zeitungen blättern, den einen Gast oder die andere Bekannte begrüßen, das Wetter loben und auf die beschissene Regierung schimpfen. Du musstest also wirklich nichts tun, als einen ganz normalen Tag beginnen. Vier Stock zu Fuß hinunter, denn der Aufzug arbeitet um diese Tageszeit noch nicht, weil die Monteure vom Service noch nicht arbeiten. Dabei ist es schon 10 Uhr vorbei. Die Monteure von der Aufzugsfirma müssen die letzten Gewerkschaftsmitglieder im Land sein. Aber da du aus Gewohnheit und Tradition ja selber noch immer Gewerkschaftsbeiträge zahlst, obwohl du schon vor ewigen Zeiten der Lohnabhängigkeit entflohen bist, lächelst du milde. Wenigstens der Aufzug ist von der permanenten, sinnlosen Hektik der Globalisierung noch nicht ergriffen. Du gehst also zu Fuß die vier Stockwerke hinunter, und du weißt, dass du abends, allerdings mühsamer, wieder zu Fuß bergauf steigen wirst müssen. Denn die Monteure werden zwar inzwischen ihre gewerkschaftlich abgesicherte Arbeit erledigt haben, der Aufzug wird davon aber überhaupt nicht beeindruckt sein und kurz nach dem Abgang der Monteure seinen Dienst wieder einstellen. So wie beinahe täglich.

Ein ganz normaler Tag also. Hinaus auf die Straße, um drei Ecken herum und durch zwei Gassen, und schon stehst du auf dem Stephansplatz, links das Erzbischöfliche Palais, rechts die scheußliche Gehsteigüberbauung aus den 1950er-Jahren. Du querst gemütlich den Platz, das heißt, du versuchst es. Wendest dich nach links, gehst zwischen Dom und Fiakerstandplatz Richtung Dombuchhandlung vis-à-vis der Rückseite der Kirche. Oben ein strahlend blauer Himmel, unten der Gestank von Pferdepisse. Du richtest besorgt den Blick auf das Kopfsteinpflaster, bloß nicht in eine der stinkenden Lacken treten, Atem anhalten, die nächsten Schritte ein wenig schneller gehen, dann langsamer werden, tief einatmen. Die Gefahr von unten ist gebannt. Da naht ein Schatten von oben. Der Himmel scheint sich plötzlich zu verdunkeln, rechts von dir der Stephansdom, ein unheimliches Rauschen erfüllt die Luft, drei Meter vor dir klatscht etwas auf die Pflastersteine, mitten hinein in eine große Lacke Pferdeurin – und der Himmel wieder strahlend blau –, was dem Fleischklumpen, der vor dir auf dem Boden liegt, aber wohl egal sein wird. Dir nicht. Du siehst an dir hinunter, aber wie durch ein Wunder kein einziger Blutspritzer auf deiner Hose oder deinem Sakko. Auch vom Urin bist du verschont geblieben. Für einen normalen Tag war das ein heftiger Beginn. Sogar sehr heftig für den Beginn eines milden Herbstvormittags. Und noch heftiger für den, der da jetzt auf dem Pflaster lag. Der Kerl hätte dich treffen können. Skrupelloser Selbstmörder. Wer wird denn gleich an Mord denken? Du! Denn du stolperst ständig über Leichen. Tagaus, tagein. Hättest Totengräber werden sollen. Gut, auch ein Scheißberuf. Aber gewerkschaftlich gut organisiert. Das größte Beerdigungsunternehmen der Stadt gehört der Stadt. In grauer Vorzeit gab es freien Wettbewerb. Da haben die Konkurrenten sich die Toten gegenseitig aus den Särgen gezerrt. Daraufhin hat man das Gewerbe kommunalisiert. Wegen der Würde. Jetzt ist es wieder privat und würdelos. Was heißt schon Würde, denkst du, der Tod ist die größte Verletzung der Menschenwürde. Aber die Städtische Bestattung ist noch immer sehr groß, konkurrenzlos groß. Konkurrenzlos würdevoll und gewerkschaftlich organisiert! Aber wer weiß, in ein paar Jahren wird man sich vielleicht wieder gegenseitig die Leichen aus den Särgen stehlen. Die Geschichte kennt keinen Fortschritt, ist vielleicht nur ein Ringelspiel, denkst du. Sie werden einander wieder wie einst die Leichen stehlen. Die gewerkschaftliche Organisation wird den Bach runtergehen. Dann fängt alles wieder von vorne an. Die Geschichte ist ein Ringelspiel.

Dem Fleischklumpen vor dir auf dem Pflaster waren deine Gedanken völlig egal. Die Leute standen und gafften und staunten. Sah man ja nicht alle Tage. Mal was anderes. Nicht jeden Tag stürzte einer vom unvollendet gebliebenen Nordturm des Stephansdoms herab. Natürlich hast du wieder einmal ein wenig geschwindelt. Es ist nicht Vormittag, sondern Nachmittag, ungefähr 16 Uhr. Ein milder Herbstnachmittag. Du stehst immer so spät auf, es ist dir peinlich, das zuzugeben, na ja, nicht wirklich, aber doch irgendwie. Du bist schon zwei Stunden auf, hast deine neuen E-Mails durchgesehen, „black whore rides horse“, verdammte Spammer, die Hälfte der hereinkommenden Post ist so ein Pornozeug. Nicht einmal guter Porno, einfach nur Mist. Ab in den Junkmail-Ordner. Die wichtigen Mails beantworten, schnell die Schlagzeilen der Online-Zeitungen durchschauen, der Hunger meldet sich, und du gehst frühstücken. Sie heben immer zwei Kipferln für dich auf. Zwei altbackene Kipferln, die nur am Morgen ein oder zwei Stunden lang resch waren. Die zähen Nachmittagskipferln waren die Rache der disziplinierten Frühaufsteher an den in ihren Augen dem Schlendrian sich hingebenden Nachteulen.

In Wahrheit funktioniert der Aufzug deshalb nicht, weil die Monteure schon wieder weg sind. Haben dich den halben Vormittag am Schlafen gehindert, wenn sie mit ihrem Werkzeug irgendwo herumgeklopft, gesägt, gehämmert, was zum Teufel auch immer gemacht haben. Lärm jedenfalls. Gewerkschaftlich gut organisierter Lärm. Hämmern gegen den Neoliberalismus. Dabei sind Hammer und Sichel so was von out. Einfach nicht mehr angesagt. Sagt man jedenfalls. Schreiben sie überall. Man wird sehen!

Die Leiche hat solche Sorgen nicht mehr. Irgendwelche Sorgen musste sie aber gehabt haben, als sie noch keine Leiche war. Sonst wäre sie schließlich jetzt keine. Unabhängig davon, ob Mord oder Selbstmord. Man wird selten zum Spaß ermordet. Sage keiner, ein Mord komme einfach so, wie ein Blitz aus frühlingsblauem Himmel. Morde bahnen sich an, schleichen sich heran an Opfer und Täter. Du glaubst nicht an Mord im Affekt. Auch ein Selbstmord kündigt sich an. Man sieht es nur nicht. Keiner sieht das. Auch Morde sieht niemand vorher. Im Nachhinein hat man sie natürlich immer vorher gesehen. Nur am Vorhinein scheitert man. Auch du.

Die Menschenmenge wird immer größer. Kein Wunder, mitten in der Fußgängerzone, mitten in der Stadt. Da sind auch so genug Leute. Haben alle nichts zu tun. Besser als jedes Fernsehprogramm ist das sowieso. Zumindest fast. Wer kann heute noch unterscheiden zwischen Reality-Fernsehen und Reality? Du schon, glaubst du jedenfalls. Manchmal hast du Zweifel. Vor allem wenn an einem Herbstmorgen, der ein Nachmittag ist, eine Leiche im Pferdeurin vor dir liegt und dein Magen unüberhörbar knurrt. Zum Glück heben sie die Kipferln für dich besonders lang auf. Auch wenn sie dadurch besonders zäh werden. Denn dir kommt regelmäßig was dazwischen, manchmal auch Leichen, und dann wird es später. Scheißleichen.

Weit und breit keine Polizei. Eh klar. An einem milden Herbsttag haben die Besseres zu tun. Hübsche Touristinnen abmahnen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Als ob die auf einen Polizisten gewartet hätten. Gut, im Urlaub schaut man nicht so genau hin. Aber die Uniform ist nicht zu übersehen. O. K., wenn man Uniformen mag. Soll es schließlich auch geben! Du verstehst das freilich nicht. Hast Uniformen nie gemocht. Jetzt schiebt sich eine weiße Kappe durch die Menge. Wie kann ein Polizist so hoch aufgeschossen sein? Lauter Köpfe, murmelnde Stimmen, Lautgewirr, und hoch über allem diese weiße Kappe, die langsam näherkommt. Einmal ein Vogerl sein und auf diese Weißkappen hinunterscheißen dürfen. Sehr langsam kommt die Kappe näher. Nur nichts übereilen. Amtsbonus. Der langsame Schritt strahlt Autorität aus. Die amorphe Masse öffnet sich und gibt eine kleine Gasse frei, durch die der Mützenträger majestätisch schreitet. Er blickt nicht nach links, nicht nach rechts. Er blickt scheinbar überhaupt nicht. Er geht nur und ist Polizist. Die Verkörperung des Rechts auf dem Stephansplatz. Hier und jetzt. Alles Recht geht vom Volk aus und direkt durch dieses Volk hindurch Richtung Leiche. Ein Vogerl müsste man sein. Die weiße Kappe schwebt näher, als wäre sie nur Kappe, brauchte den darunter befindlichen Träger nicht. Wird wohl so sein. Man ist zwar Amtsträger, aber eigentlich trägt einen das Amt und nicht umgekehrt, wie die Bezeichnung unterstellt. Das Polizistsein trägt die Weißkappe zur Leiche. Der Mann hat den totalen Überblick, das merkt man gleich. Die Gasse hat sich hinter ihm wieder geschlossen. Es murmelt wieder von allen Seiten. Ein Pferd hebt den Schweif. Ein paar Schreie in der Menge, ein paar Leute springen zur Seite. Urin spritzt in alle Richtungen. Ein paar Hosenbeine werden benetzt. Du nicht, du behältst eine saubere Hose. Warum spricht man immer nur von sauberen Westen? Man sollte öfter mal auf die Hosenröhren schauen. Wäre nicht ganz uninteressant, denkst du. Die Weißkappe hat inzwischen das Mobiltelefon aus einer der Jackentaschen geholt und ist ungemein wichtig. Telefoniert mit einer Dienststelle, die auch ungemein wichtig ist. Dein Magen knurrt immer lauter. Wenn du hier verhungerst, wird der Tote auch nicht wieder lebendig. Wieso der Tote, wieso nicht die Tote? Dein Gehirn hat sich ohne dein Dazutun dafür entschieden, dass es eine männliche Leiche ist. Man kann nicht viel erkennen, aber der Körper ist in feines Tuch gehüllt, erstklassiger Anzug. Die eine Hand, die schräg und unnatürlich schroff vom Körper abgewinkelt in die Höhe ragt, schaut aus einem Anzugärmel heraus. Vier Knöpfe mit echtem Knopfloch, folglich ein Maßanzug. Als Kenner siehst du das sofort, registrierst es ganz automatisch. Frauen tragen so was normalerweise nicht. Der Polizist beugt sich zur Leiche hinab, als ob er sich von deren Leblosigkeit überzeugen wollte. Seine Hand fährt zur Halsader und zuckt zurück. Wahrscheinlich hat er die Sinnlosigkeit seines Tuns erkannt. Wenn einer aus ein paar dutzend Metern Höhe auf das Pflaster knallt, bewegen sich nur mehr die Fliegen, die nun nicht das Pferdeurin, sondern das wesentlich nahrhaftere Menschenblut umschwirren.

Der Polizist richtet sich auf, strafft seine Gestalt und wird noch ein Stückchen größer: „Machen Sie hier keinen Auflauf. Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen.“

Hat der eine Ahnung. Natürlich gibt es hier etwas zu sehen. Eine vornehme Leiche inmitten von Pferdeexkrementen. Da gibt es nicht nur etwas zu sehen, sondern auch zu riechen. Besser als Fernsehen, viel besser, solange die keinen Geruch übertragen. Das Murmeln der Menge wird lauter. Klingt nach Protest. Der Polizist schubst ein paar Leute weg, langsam gehen die anderen weiter, nicht ohne sich immer wieder zum Ort des Geschehens umzudrehen.

Diesen traurigen Ort kannst du nur verlassen. Hier gibt es nichts mehr zu helfen, und in Kürze wird es von Amtsträgern mit und ohne Kappe nur so wimmeln. Abgang durch die Menge hindurch funktioniert nicht, also gegen jede Gewohnheit der Menge nach.

Wieder einmal besonders zähe Kipferln. Und statt Trinkschokolade hat dir die neue Kellnerin – kleines Schwarzes mit weißem Schürzchen – einen kleinen Schwarzen serviert. Also saugst du statt des Dufts von Kakaobohnen den eines starken Moccas durch die Nase ein, die Aromen der Arabica-Bohnen sollen den aufdringlichen Geruch der Pferdepisse aus dem Flimmerepithel vertreiben. Das verlangt nach mehreren kräftigen Inhalationen. Man atmet ja nicht mit beiden Nasenlöchern gleichzeitig und gleich stark. Ein ziemlich komplizierter Regelvorgang steuert das Wechseln des Atemstroms von einem Nasenloch zum anderen. Während das eine Loch arbeitet, kann sich das andere ausruhen und erholen. „Nasalen Zyklus“ nennen das die Experten. Wenn beide Nasenlöcher sich ausruhen, dann hast du es hinter dir. Für immer. Das Bild des toten Körpers zuckt durch dein Gehirn. Ruhet wohl ihr Nasenlöcher.

2. KAPITEL: Eine Schlagzeile erscheint zu früh

Man kann gegen die Boulevardpresse sagen, was man will, aber sie reagiert flott. Nicht immer richtig, aber flott. Das zählt. Den Rest kann man googeln. Das geht ebenfalls schnell, und das Ergebnis ist auch nicht immer richtig.

Ich hatte inzwischen mein Nachmittagsfrühstück beendet und ging dann über den Graben auf die Tuchlauben, um ins Giacomos zu wechseln. Warum? Einfach so. Weil sich das um diese Tageszeit so gehört. Hier trifft man sich, sieht und wird gesehen. Hört das eine oder das andere.

Auf dem Tresen lag schon die Abendausgabe vom „Blatt“. Mit großem Aufmacher: „Toter fällt vom Stephansturm“. Dazu ein Bild von der Leiche. Schön bunt. Welch ein Segen, dass vor ein paar Jahren auch in die Tageszeitungen die Farbe Einzug gehalten hatte. Die Rossäpfel waren jetzt nicht mehr schwarz-grau-weiß, sondern richtig schön braun. Braune Scheiße. Und das passte manchmal ganz gut zum Inhalt.

Ägidius Himmel aber war kein Brauner. Auch kein Blauer. Weder tiefblau noch himmelblau. Himmel war durch und durch rot, schillerte gleichsam in sattem Abendrot. Ein Roter vom alten Schlag, obwohl er noch nicht dreißig war. Lag vielleicht in der Familie. Die war immer schon rot gewesen, lange bevor es die Sozialdemokratie gab. Wahrscheinlich sogar schon vor Marx und Engels. Ägidius Himmel war Sensationsreporter beim Blatt. Der beste in der Redaktion, denn er hatte die besten Storys. Und manchmal, wenn er keine hatte, erfand er halt eine. Dann hieß es in der Redaktion: „Der Himmel lügt wieder einmal das Blaue vom Himmel herunter.“ Nicht umsonst nannte man ihn „sensazione“, die Sensation. Aber niemals hätte er gelogen, wenn es um die roten Grundfragen seiner roten Existenz ging. Niemals hätte er die Legende in die Welt gesetzt, sein Großvater sei zu Fuß zum Gründungsparteitag der Sozialdemokratie gewandert, er selbst sei mithin direkter Nachfahre eines Parteigründers und darum besonders kritikberechtigt. Ganz im Gegenteil. Himmel verschwieg, dass sein Urgroßvater mit einem gestohlenen Waffenrad, das allerdings erst ein paar Jahre später so heißen sollte, zum Parteitag geradelt war. Nur einmal hatte er im Vollrausch in wirren Worten und ganz ohne Absicht davon erzählt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Jetzt ging es um die heutige Schlagzeile, und die war sicher nicht von Himmel. Der hätte sich niemals einen sprachlich so widersinnigen Aufmacher durchgehen lassen. Eine gut formulierte Lüge, ein Schmäh, wie man hierorts zu sagen pflegt, ein inhaltlich falscher Aufmacher, der die Leser veranlasste, den Straßenverkäufern Das Blatt aus ihren Umhängetaschen zu reißen, das ging in Ordnung. Aber die Sprache musste stimmen. Hier stimmte sie nicht. Wahrscheinlich waren sie in der Redaktion wieder einmal stockbesoffen gewesen, und ein Praktikant in prekärem Beschäftigungsverhältnis hatte den Schlussredakteur gemimt. Die Praktikanten waren nämlich immer nüchtern, denen blieb gar nichts anderes übrig. Sie waren nicht gewerkschaftlich organisiert, das war nicht vorgesehen. Sie standen in keinem Kollektivvertrag, folglich gab es sie nicht. Dafür konnten sie weder Deutsch noch denken. Denn erstens hieß es nicht Stephansturm, sondern Stephansdom. Zweitens konnte man davon ausgehen, 
dass kein Toter, sondern ein Lebender hinuntergefallen war, gestorben erst beim Aufprall. Dementsprechend schlecht war Himmel aufgelegt. Es war seine Story, aber nicht seine Schlagzeile. Wenn Himmel schlecht gelaunt war, hingen die Augenbrauen wie Gewitterwolken über seinem Gesicht, und aus seinen Augen schien es zu regnen. Ich winkte ihm vorsichtig zu, und er hob missmutig die linke Augenbraue ein paar Millimeter an, als ich beiläufig meinte: „Ganz schön schnell heute, die Schlagzeile.“

Himmels Missmut war grenzenlos. Er zuckte mit den Schultern und schwieg.

„Das Foto ist ein Fake“, sagte ich.

Mit dieser Bemerkung hatte ich offenbar sein Interesse geweckt. Noch immer missmutig fragte er mich: „Wie kommst du auf die Idee?“

„Ich war dabei. Der Typ ist genau vor mir aufgeschlagen. Zwei Schritte weiter, und er hätte mich erschlagen.“

„Dein Glückstag“, murmelte Himmel.

„Gott soll einen schützen vor solchen Glückstagen“, antwortete ich.

„Frei nach Torberg“, grunzte Himmel und rollte eine kalte Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger.

„Torberg hin, Torberg her. Das Bild ist gefälscht. Der Mann lag ganz anders am Pflaster. Und der Anzug stimmt auch nicht. Der Kerl hatte einen blauen Nadelstreifanzug an. Am Bild sieht man aber einen grauen Anzug mit Mini-Hahnentritt.“ …

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