Schussgefahr – Kottan ermittelt

Autor: Helmut Zenker
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 224 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Der vielleicht „literarischste" Kottan-Fall und der einzige, der als Kinofilm realisiert wurde. In „Schussgefahr" geht es um einen Wiener Grundstücksspekulanten, der aufgrund seiner besten Kontakte zu Politik und Gesellschaft gute Geschäfte macht. Als ein kleiner Betrüger dem Treiben auf die Spur kommt, lässt man einen Profikiller aus den USA einfliegen, der staunend erkennt, dass irgendwer schon seinen Job erledigt hat. Ein verzwickter Fall für Polizeimajor Adolf Kottan, Paul Schremser und Alfred Schrammel. Denn Rache ist ein Stein in diesem tödlichen Puzzle. In Peter Patzaks Filmadaption mit dem Titel „Den Tüchtigen gehört die Welt" (1981) spielte Franz Buchrieser den Kottan und ein blond gefärbter Lukas Resetarits den Gauner.

Leseprobe aus »Schussgefahr – Kottan ermittelt«

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Jeder ist hin und wieder einmal 
deprimiert, das ist ganz natürlich.
W. R. Burnett

Kottan steht zum zweiten Mal vor der gläsernen Haustür in der Hellwagstraße, auf die Glasnost in Wien???? gesprayt ist. Der Major tippt mit dem Daumen der linken Hand gegen die beschriftete Glocke.
„Ja“, meldet sich Elfriede Kahlbeck rasch.
„Kottan.“
„Haben Sie vorhin angerufen?“
„Nein“, sagt Kottan.
„Dann tut es mir leid.“
„Polizei. Ich war gestern schon bei Ihnen.“
„Hört das gar nicht mehr auf?“
Kottan betritt das unbeleuchtete Stiegenhaus, geht den langen Gang nach vorn zur Wohnungstür der Frau Kahlbeck. Die Tür ist offen. Frau Kahlbeck sitzt mit übereinander geschlagenen Beinen auf der Couch im Wohnzimmer: im anscheinend unvermeidlichen Morgen- bzw. Abendmantel.
„Was ist jetzt wieder? Stehen Sie gern?“
„Sie sind registriert“, sagt Kottan schnell, mustert den Wandverbau und bleibt stehen. Sie reagiert kaum auf sein offensichtliches Wissen.
„Ist mein Mann deswegen nicht tot?“
„Ich hab gestern nichts gemerkt.“
„Ich weiß schon“, sagt sie und kichert ihn aus. „Ich schaue nicht so aus.“
„Sie hätten es mir sagen können.“
„Sie hätten mich fragen können. Was ändert das jetzt in Ihren geistreichen Ermittlungen?“
„Nichts … voraussichtlich. Wie lang machen Sie das?“
„Fast ein Jahr. Wichtig?“
„Vorher nicht?“
„Nein. Der Herbert hat anständig verdient.“
„Bekommen Sie keine Rente?“
„Doch. Was glauben Sie, was die Wohnung kostet? Die Rückzahlungen und die Betriebskosten?“
„Sie hätten eine Arbeit annehmen können.“
„Einer Friseurin rennt keiner nach.“
„Wer zwingt Sie wirklich dazu?“
„Niemand zwingt mich. Nichts. Ich mach das nur für mich.“
„Glaube ich nicht.“
„Glauben Sie es eben nicht!“
„Spritzen Sie was?“ Er fasst nach ihrem rechten Arm.
„Nein. Sie sind blöd.“
Kottan lässt ihren Arm los, mustert wieder den Wandverbau, weil er nicht weiterweiß.
„Ich passe schlecht in Ihr Programm. Oder? Es ist gar nicht so schwer, noch dazu, wo die meisten Typen, die hier aufmarschieren, enttäuscht sind von mir.“
„Und?“
„Das gefällt mir. Die fangen zu handeln an. Ich lasse nicht mit mir handeln.“
„Haben Sie keine Angst?“
„Luxus. Wozu?“
„Sie sind Amateur.“
„Irrtum. Ich bin fast perfekt.“
„Ja?“
„Eine neue Sprache hab ich obendrein gelernt.“
„So?“18
„Ja, Schatzi“, sagt sie. 
Sofort hat sie einen ganz anderen Ausdruck im Gesicht.
„Lassen Sie das.“
Elfriede lässt sich nicht bremsen.
„Da legst das Geld hin. Wirst ja wissen wie viel. Was ist? Steh nicht so verloren herum, Schatzi. Hast kein Interesse an griechischen Wochen?“
„Hören Sie auf“, sagt Kottan. Er geht weiter zur nächsten Tür, die über einen engen Verbindungsgang ins Schlafzimmer führt.
„Geh nur voraus, Schatzi. Ich komm gleich nach!“
Kottan schaut sich mit neugierigen Augen, die Schrammel gehören könnten, im Schlafzimmer um. Die langen Vorhänge sind zugezogen. Ein gewöhnliches Doppelbett steht mitten im Zimmer.
„Normal“, sagt er und zuckt mit den Schultern.
„Nicht ganz“, sagt sie und zeigt mit dem rechten Mittelfinger nach oben. Auf dem Plafond über dem Bett ist ein Spiegel. „Als Detektiv sind Sie schwach.“
Kottan schleicht ins Wohnzimmer zurück. Unter der Lampe zieht er die Fotografie Haumers aus seiner Jacke.
„Ist das Ihr Versicherungsmensch?“
„Sowieso.“
„Bestimmt?“
„Hören Sie schlecht?“
Kottan steckt das Bild wieder ein. Über die Tapete wandert sein Blick zum Plafond.
„Was ist mit der Jugoslawin? Haben Sie sich ein zweites Mal beim Kommissariat beschwert?“
„Ich war bei ihr oben“, sagt sie leise. „Gestern noch. Alles erledigt.“
„Ein Bub oder ein Mädchen?“
„Verstehe ich nicht.“
„Was ist es geworden?“
„Die kriegt gar kein Kind. Die hat nur so Schmerzen gehabt und sich nicht in ein Spital getraut. Unterversichert oder gar nicht versichert.“
„Und?“
„Ich hab ihr die Rettung gerufen. War höchste Zeit. Blinddarmdurchbruch. Ich werde sie besuchen, am Nachmittag.“
„Nett“, sagt Kottan. Er interessiert sich nicht für Pfadfinder.
Eine heisere Glocke im Vorzimmer schlägt an.
„Besuch?“, fragt Kottan.
„Ja. Stammkundschaft … sozusagen. Der ist nett. Kriegt eine Fürsorgerente, schnorrt, spendet sogar Blut für Geld, damit er sich mich leisten kann. Verstehen Sie? Mich.“
Sie öffnet die Eingangstür. Ein alter, verwahrloster, nach Alkohol duftender Mann kommt ins Vorzimmer; ein Froschlächeln im Gesicht.
„Kannst vorgehen, Schatzi“, sagt sie in der Sprache, die Kottan schon kennt. Sie zeigt in Richtung Schlafzimmer. Der Mann braucht keinen Plan und geht wortlos weiter. Er schaut unter dem Blick des Majors durch.
„Und so einer muss sein?“, wundert sich Kottan, schon im zugigen Stiegenhaus.
„Der Strich ist kein Wunschkonzert“, sagt sie.

Die Company-Bar befindet sich im achten Bezirk: ein ehemaliges Kaffeehaus. Es ist wenige Minuten nach zehn Uhr, als Schremser den großen Gastraum betritt und den Messinggriff der Tür in der Größe einer Bowling-Kugel loslässt. Die Tür schließt von selbst und völlig geräuschlos. Der Betrieb im Company beginnt erst um elf, dauert dann aber bis vier Uhr früh an. An der langen Theke (fast Cinemascope-Western-Format, fällt Schremser unwillkürlich ein) steht Josef Weilhartner. Er erkennt den Kriminalbeamten sofort.
Außer Weilhartner, dem Pächter und Geschäftsführer der Bar, ist die Putzfrau, eine Jugoslawin, mit einem Emailkübel im Lokal unterwegs. An einem Tisch neben der Garderobe sitzen zwei junge Frauen. Die größere der beiden, eine Schwarzhaarige mit Rossschwanz, kurzem Rock und weißen Strümpfen, erzählt ziemlich enthusiastisch von einem Rudel betrunkener Tiroler, die gestern ausgenommen worden sind. Die andere, eine ungekämmte Blonde, schlägt mit ihren Bleistiftabsätzen den Takt des Musikautomaten mit, in dem sich Rick Astley ausweint. Die Blonde hat den gestrigen Tag ausgelassen und ärgert sich über die entgangene Chance. Schremser beachten sie nicht.
Über den Tischen ist ein weitmaschiges Netz gespannt, auf dem am Abend eine Indonesierin mehrmals über den Köpfen der Gäste ihre Vorstellung gibt. Der Musikautomat ist fast ein Wegweiser. Von ihm führt ein schmaler Gang zu den rot gepolsterten Separées, die in der Nacht noch mit einer zusätzlichen Dosis Rot beleuchtet werden.
„Muss ich wieder wen finden?“, fragt Weilhartner und lässt den Griff der Espressomaschine nicht aus.
„Ja“, sagt Schremser, schon ganz nah.
„Wie oft noch?“
„Sind wir schon quitt?“
„Wer darf es heute sein?“, resigniert Weilhartner. Er weiß, dass er Schremser längst nicht mehr verpflichtet ist. Er weiß aber auch, dass eine Bemerkung Schremsers ausreichen würde, um eine eingehende Prüfung der Bar zu veranlassen. Und an der fixen Meinung, dass jeder Polizist ein Arschloch ist, wird Weilhartner niemals rütteln.

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