Der Tod spielt mit
Autor: Ernst Hinterberger
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 216 Seiten
Kurzinformation zum Buch
Ein Fall für Trautmann
Im Lotto irrsinnig viel Geld zu gewinnen, ist nicht leicht. Noch schwerer ist nur, darüber Stillschweigen zu bewahren, wenn einem Fortuna einmal gnädig zugewinkt hat. Auch Verena Leinwarther kann ihr Glück nicht still und allein genießen, sie erzählt davon einer Freundin, die das auch nicht für sich behalten kann. Eines Tages wird die nun nicht mehr glückliche Gewinnerin ermordet in der Badewanne aufgefunden. Ihr Geld ist genauso verschwunden wie ihre kleine Tochter Annemarie, wie der Wiener Paradekieberer Trautmann bei seinen Untersuchungen erfährt. War die Kleine zufällig Zeugin der Tat und ist aus Angst geflohen? Oder hat sie der Mörder gleichfalls getötet und dann beseitigt? Trautmann ermittelt im Wurstelprater und auf Flohmärkten - wie immer einige Meter neben dem vorgesehenen Dienstweg. Also: erfolgreich.
Leseprobe aus »Der Tod spielt mit«
Trautmann saß noch immer paffend vor dem Computer, als sein Oberst Sporrer, ein noch jüngerer, an die zwei Meter großer Mann mit dichtem, nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengefasstem Haar, ins Zimmer kam und sagte: „Schalt den Computer aus und mach dich fertig. Wir haben zu tun.“
„Aha“, brummte Trautmann. Drückte die erst halb gerauchte Selbstgerollte aus und fragte: „Und um was geht’s?“
„Die Feuerwehr hat angerufen. In der Siedlung am Unteren Heustadelwasser haben s’ eine tote Frau in einer vollen Badewanne gefunden. Mit einem Föhn drin. Anscheinend Selbstmord, wie es ausschaut.“
Trautmann stand auf, öffnete eine Schreibtischlade, nahm seine Glock heraus, steckte sie in den hinteren Hosenbund und brummte: „Brauchen werd ich die Puffen zwar eh nicht, aber wissen tut man ja nie nichts.“
Er spielte dabei auf den Fall eines Kollegen an, der ohne seine Dienstwaffe auf einer ungefährlichen Ermittlung gewesen war, dabei aber zufällig auf einen flüchtigen Bankräuber getroffen war, diesen hatte stellen wollen und dabei von diesem kurzerhand niedergeschossen und getötet worden war. Der Bankräuber war ein paar Gassen weiter von einer Streifenbesatzung gestellt und nach einem kurzen Schusswechsel erschossen worden. Seither machte Trautmann außerhalb des Kommissariats keinen Schritt ohne Waffe.
Während Sporrer und Trautmann das Dienstzimmer verließen und zum Aufzug gingen, fragte Trautmann: „Ist schon wer von uns dort und hat umgerührt?“
„Ja, zwei Uniformierte von der Inspektion Ausstellungsstraße. Die haben aber nichts angegriffen. Sagen sie zumindest.“
Als Trautmann und Sporrer in die Stemmerallee kamen, hatte die Feuerwehr das ausgelaufene Wasser bereits abgepumpt; vor dem Haus stand ein Streifenwagen, dessen uniformierte Besatzung, ein Mann und eine sehr junge, zarte Frau mit Brille, sich daneben auf dem Rasen vor dem Haus aufhielt. Etwas entfernt standen die Nachbarin, Eva Pichler mit der kleinen Renate und ein paar Neugierige.
„Drinnen ist alles noch so, wie es die Feuerwehr vorgefunden hat“, meldete der Polizist. Und fügte hinzu: „Wir haben nur kurz hineingeschaut. Die Tote liegt noch in der vollen Wanne und der Föhn auch. Wir haben festgestellt, dass der FI-Schalter durch den ins Wasser geworfenen Föhn ausgelöst wurde, und wir haben ihn ausgeschaltet lassen. Es gibt daher im Haus keinen Strom.“
„Ja“, fiel die Polizistin ein. „Außerdem haben wir bereits festgestellt, dass es sich bei der Toten um eine gewisse Verena Leinwarther handelt. Alleinerzieherin eines fünf- oder sechsjährigen Mädchens namens Annemarie.“
„Jetzt ist das Mädchen allerdings nicht da“, setzte der Polizist hinzu.
„Aha“, sagte Sporrer und ging ins Haus, gefolgt von Trautmann.
Sie betraten das inzwischen auch trockene Badezimmer mit Wanne, Dusche, WC und Bidet und schauten auf die nackte Tote in der Wanne.
Trautmann zog Plastikhandschuhe an und brummte: „Sicher ist sicher. Vielleicht ist das Ganze nicht so, wie es ausschaut, und es gibt auf dem Föhn irgendwelche Spuren. Der ist zwar im Wasser gelegen, und ich glaub nicht, dass … Aber trotzdem.“
„Wart einen Moment“, sagte Sporrer.
Er zog seine kleine Kamera und machte mehrere Aufnahmen von der Toten und dem Föhn in der Wanne. Steckte die Kamera wieder ein und sagte zu Trautmann: „So, jetzt kannst.“
Trautmann ging in den Vorraum und rief zu den uniformierten Kollegen: „Habts ein größeres Plastiksackl dabei? Wenn ja, bringts es herein.“
Die Uniformierte ging zum Streifenwagen, kramte darin herum und kam mit einem großen, durchsichtigen Plastiksack zu Trautmann.
Der bedankte sich, ging mit dem Sack ins Badezimmer, nahm den Föhn aus der Wanne und verstaute ihn samt Kabel im Plastiksack. Dabei rief er der noch im Vorraum stehenden Uniformierten zu: „Kannst den FI-Schalter wieder einschalten!“
Er ging ins Badezimmer zurück, zog sich seine zerknitterte, alte Jacke von einer undefinierbaren Farbe aus, schob den kurzen Ärmel seines schwarzen, mit der weißen Aufschrift „Atlanta Panthers“ versehenen T-Shirts bis zur Achselhöhle zurück, griff unter die mit dem Rücken über dem Abfluss liegende Tote, zog den Stöpsel heraus und sagte zu Sporrer: „Tot ist s’ eh. Jetzt braucht s’ kein Wasser mehr.“
Sporrer nickte. „Und der Doktor Kammerer, der ja bald kommen muss, auch nicht. Okay.“
Er rief nach draußen: „Kollegin! Kommst du einmal herein?!“
Und als die Uniformierte im Türrahmen auftauchte: „Du bleibst jetzt da stehen. Gehst keinen Schritt von da weg und lässt auch niemand anderen herein. Wurscht, wer’s ist. Der Trautmann und ich schauen uns ein bissl im Haus um. Sollte der Doktor kommen – den kannst hereinlassen. Aber gleichzeitig rufst du uns, verstanden?“
Die Uniformierte, die Sporrer als Chef vom Zentrum Ost natürlich kannte, nickte. „Ja, Herr Oberst.“
Sie ließ Sporrer und Trautmann aus dem Badezimmer, stellte sich dann in den Türrahmen und schaute den beiden nach.
Trautmann, der noch immer die Plastikhandschuhe trug, hätte diese gern ausgezogen und sich eine Zigarette, die sechsundzwanzigste des Tages, gerollt, unterließ das aber, weil es im Haus vielleicht etwas anzugreifen gab, das möglicherweise mit Spuren behaftet war.
Es konnte ja durchaus sein, dass sich im weiteren Verlauf herausstellte, dass es sich bei der Sache um gar keinen Selbstmord, sondern um einen Mord handelte. Und wenn das der Fall war, würde sich die auf DNA- und Fingerabdruckspuren geile Tatortgruppe der Kriminaldirektion wie immer über die spurenvernichtenden Vorstadtkiberer aufregen. An Tat- und Leichenauffindungsorten durfte während der Ermittlungen weder geraucht noch sonst was werden. Den Tatortleuten wäre am liebsten gewesen, wenn vor ihnen ankommende Beamte nicht einmal geatmet hätten und bei ihren vorläufigen Ermittlungen wie Geister in der Luft herumgeflogen wären, um nur ja nichts zu berühren.
Nach Trautmanns Meinung und Erfahrungen gab es zwei Arten von Menschen, mit denen es immer zu Bröseln kam: Hysteriker und die Leute der Tatortgruppen.
Im Wohnzimmer schaute es aus wie nach einem Hurrikan. Sämtliche Laden waren geöffnet worden und deren Inhalte waren teilweise auf dem Boden verstreut. Im anschließenden kleinen Schlafzimmer, in dem es außer einem breiten Bett einen Kleider- und einen Wäschekasten gab, schaute es genauso aus. Der, der hier gewütet hatte, hatte sogar die hintere Abdeckung des Fernsehgeräts abgerissen, weil er anscheinend gehofft hatte, irgendwas im Apparat Verstecktes zu finden.
Auf dem Nachtkästchen lag eine größere Geldtasche, in der sich wenige kleine Scheine und einige Münzen, die E-Card der Toten sowie deren Führerschein und ein Foto befanden, das ein etwa fünf- bis sechsjähriges Kind, wahrscheinlich die Tochter Annemarie, zeigte.
Trautmann verstaute die Brieftasche in einem Plastiksäckchen und sagte: „Da schauts ja aus, wie im ewigen Leben.“
Sporrer nickte. „Aber noch wissen wir nicht, ob es sich bei der Sache um einen Bruch mit anschließender Tötung der Frau, also um einen ,Dolus superveniens‘, handelt.“
Trautmann wusste natürlich, dass es sich bei diesem Latinum um den sogenannten „nachhinkenden bösen Vorsatz“ handelte, was beispielsweise der Fall war, wenn jemand nur mit dem Vorsatz einzubrechen irgendwo eindrang, dann aber vom Wohnungseigentümer überrascht wurde und diesen vorsätzlich tötete.
„Es kann aber genauso gut sein, Karli“, sagte er zu Sporrer, „dass die Frau durch irgendwas so außer Fassung gebracht wurde und so hysterisch geworden ist, dass sie zuerst die Wohnung demoliert und sich dann selber die Schleifen geben hat. So was ist ja auch schon vorkommen. Auf der anderen Seite: Was ist mit dem Mädchen von der Frau?“
„Irgendwann wird es auftauchen. Vielleicht …“
„Vergiss dein Wort nicht, Karli“, unterbrach Trautmann seinen Chef. „Wenn’s der Teufel will und die Frau da gemacht worden ist, kann der Täter die Kleine ja mitgenommen und …“
Er schaute ins Leere und brummte: „Wenn er die Kleine als mögliche Zeugin hätt umbringen wollen, hätt er das ja auch da im Haus machen können. Also … Na, wir werden schon draufkommen. In Luft aufgelöst kann sich das Kind ja nicht haben.“
Im Kinderzimmer herrschte keine Unordnung. Die Türen eines kleinen Kastens waren geschlossen. Das Bett schaute benützt aus. In einer großen Schachtel auf dem Boden gab es allerhand Kinderspielzeug und an den Wänden Kinderzeichnungen. In der Nähe des halb offenen Fensters lag ein umgefallener Kindersessel, der offensichtlich zu dem in einer Ecke stehenden Kindertischchen gehörte, auf dem zwei Kinderbücher lagen. Auf einer Kommode standen zwei Fotos.
Auf einem waren die sommerlich gekleidete, jetzt tote Frau und ein kleines Mädchen zu sehen. Die beiden standen vor einer Glücksbude im Wurstelprater. Das Mädchen hielt einen kleinen, hellen Teddybären an sich gepresst und lachte glücklich. Das Foto musste allerdings irgendwann früher gemacht worden sein, denn die abgebildete Frau war zwar die dunkelhaarige Frau aus der Wanne, hatte aber auf dem Foto kürzeres und blondes Haar. Und das Mädchen war, selbst wenn man mit einbezog, dass es für ihr Alter kleinwüchsige Kinder gab, sicher jünger als fünf oder sechs Jahre, das Alter, das die Nachbarin angegeben hatte.
Trautmann schaute erst auf das Foto, dann im Raum herum und sagte: „Da stimmt was nicht, Karli. Auf dem Bild hat die Kleine einen Teddy. Wahrscheinlich hat den die Mutter gerade gewonnen gehabt. Und wenn ein Kind einen Teddy kriegt, hält es den wie ein Heiligtum! Das weiß ich von meiner Tochter. Wie die noch klein war … Und sogar …, sogar, nachdem sie tot gewesen ist, ist der Teddy noch neben ihrem Kopfpolster gelegen. Ich seh da herinnen aber alles Mögliche, nur nicht einen Teddy.“
Sporrer nickte. „Der kann irgendwie verloren gegangen oder kaputt geworden sein. Aber auf der anderen Seite …“
Er schaute auf das halb offene Fenster und den umgefallenen Sessel.
„Auf der anderen Seite kann die Kleine – wenn sie nicht entführt worden ist – irgendwie mitbekommen haben, dass ihre Mutter … Und dann ist sie auf den Sessel und aus dem Fenster und auf und davon.“
„Könnte sein“, sagte Trautmann. „Aber dann ist sie, wenn sie vielleicht sogar im Nachthemd oder im Pyjama war, nicht weit gekommen. Dann muss sie zu finden sein.“
Er dachte nach und brummte: „Vielleicht sollten wir die Hunde kommen lassen? Was meinst du, Karli?“
Und in einem anderen Ton: „Was da los war, werden unsere Ermittlungen und der Background der Frau ergeben. Aber warum bei der anscheinend eingebrochen worden ist, ist mir schleierhaft. Weiß Gott, welche Schätze kann die schon, der ganzen Einrichtung und ihren Sachen nach, im Haus gehabt haben?“
Sporrer wollte etwas entgegnen, kam aber nicht dazu, weil die Polizistin von unten rief, dass der Doktor gekommen sei.