Inspektor Kocek und der Lobauschamane

Autor: Georg Siegl
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 320 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Ein Wiener Kaffeehaus und die dort vertretenen Archetypen bilden das Zentrum des Universums. Hier fallen Entscheidungen, hier gewinnt man Erkenntnisse, hier darf man sich sicher fühlen vor den Übergriffen der postmodernen, neoliberalen und globalisierenden Gleichmachungsmaschinerie. Hier ist gnadenloser Individualismus angesagt. Schrullig, verschroben, aber niemals weltfremd.

Theodor Kocek, Teil dieses Paralleluniversums, ist Kriminalbeamter, und alle diesbezüglich möglichen Witze sind bereits gemacht worden. Ob eine Serie von Trafikantinnenmorden die Stadt verunsichert und Kocek sich in einer Grottenbahnversion des „Schweigens der Lämmer" wieder-findet, ob er tief in die -musikalische Subkultur der Donaumetropole ein-taucht, um dem Mörder eines Musikalienhändlers auf die Spur zu kommen, oder ob er schließlich zwischen die Mühlsteine politischer Intervention und gar nicht so fein gesponnener Intrigen einer zweit-klassigen Schauspielerin gerät und in Gestalt eines zum Esoteriker gewandelten Einbrechers mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird, fest steht: Wien bleibt Wien. Ob ihm deshalb nun recht geschieht oder man darüber vielleicht auch recht froh sein kann, ist dem Empfinden des Lesers anheimgestellt.

Leseprobe aus »Inspektor Kocek und der Lobauschamane«

Die toten Trafikantinnen

... Was war nun mit Josef Baumann geschehen? Seine Mutter hatte den musisch Begabten niemals in Mädchenkleider gesteckt oder ihn gar der Frauenwelt vorenthalten. Da waren immer genug Frauen im Hause Baumann gewesen. Freundinnen der Mutter, oder Tanten, sogenannte und leibliche, die den kleinen Joschi schon einmal an ihre wogenden Busen drückten, wenn er eine Chopin-Etüde besonders gelungen vortrug, bei Kaffee und Kuchen an Samstag- oder Sonntagnachmittagen. Der Geruch ihrer schweren Parfums war ihm heute noch genauso gegenwärtig wie das Scheppern ihrer Perlen- und Goldketten.

Es war ein süßlicher, beinahe betäubender Geruch und ein Gefühl der Wärme, wenn sie den kleinen Joschi an ihre Brüste drückten, sodass dieser ihre schwergängigen Herzschläge hören konnte. Später im Internat, in das ihn seine Mutter geschickt hatte, holte er sich die Erinnerung an den sedierenden Geruch und das Gefühl der warmen Weichheit, durchdrungen vom gleichmäßigen Pochen der Tantenherzen, immer wieder aus seiner Erinnerung hervor. Besonders nachts im großen Schlafsaal, wenn die Einsamkeit unter den vielen Geräuschen, welche, von erwachender Männlichkeit kündend, unter den Decken hervorkrochen, ihm unerträglich wurde. Doch bald schon verwirrten ihn die nächtlichen Geräusche nicht mehr, da es ihm selbst ebenso erging, besonders beim Gedanken an die Tanten, in deren Gesellschaft er sich nun beinahe jeden Abend in seiner Phantasie flüchtete. Nur später, als sich bei vielen die bereits erwachte Männlichkeit in mehr als bloß handfesten Erfahrungen niederzuschlagen begann, die ersten Kontakte und damit auch die ersten Expeditionsberichte über diesen fernen und fremden Planeten, auf dem die Mädchen wohnten, ausgetauscht wurden - Josefs Mutter hatte ihn selbstredend in ein Knabenkonvikt gesteckt -, schlich sich wieder die Einsamkeit ein. Eine aggressive, bösartige.

„Da Baumann wixt no immer, die g'haazte Drecksau!"

Da war aber noch immer das Klavier an Samstagen und Sonntagen und der süße Geruch der Tantenleiber, besonders der von Tante Hedwig, die ihren Joschi immer schon ganz besonders lieb hatte und ihn schon ab und zu gewähren ließ, wenn der kindliche erotische Spieltrieb den Knaben dazu verleitete, an dieser oder jener Stelle zu tasten oder zu forschen. Und Tante Hedwig war es auch, die den Heranwachsenden zu noch mehr animierte, als sie meinte, dass es Zeit dazu wäre, oder auch nur ahnte, dass für sie nicht mehr allzu viel davon übrig war. Und so hatte es Joschi mit einer Frau zu tun, während die anderen Zöglinge sich mit Mädchen abgaben. Eine verführerische Vorstellung in der Phantasie vieler heranwachsender junger Burschen, aber die Wirklichkeit sieht meistens ganz anders aus. Tante Hedwig war eine bestimmende Frau gewesen, das hatte auch schon ihr Gatte erfahren müssen, der sich ihrer erdrückenden Zuneigung durch frühes Ableben entzogen hatte. Joschis Besuche bei Tante Hedwig waren doch recht häufig in dieser Zeit, und er bemerkte die Kluft, die sich auftat zwischen ihm und seinen Internatskollegen, aber wohin hätte er sich wenden sollen? Und so gelang es ihm auch nicht, sich aus der Umklammerung der Tante Hedwig, welche, das muss hier schon gesagt sein, bloß eine sogenannte, also nicht verwandte, Tante war, zu befreien. Auch nicht als die ursprüngliche Neugierde und die Lust am verbotenen Abenteuer längst einer gewissen Distanz, um nicht zu sagen, einem gewissen Ekel gewichen waren. Aber auch Tanten leben nicht ewig, seien sie nun verwandte oder nur sogenannte. Die massive Zufuhr cholesterinhaltiger Nahrung wirkt sich auf den Organismus noch so zäher verwitweter Tanten, der verwandten wie der nur sogenannten, nicht eben förderlich aus. Und so wurden die Tanten nach und nach weniger, und auch die sogenannte Tante namens Hedwig hatte, es musste kurz vor Josef Baumanns Matura und dem damit verbundenen Auszug aus dem Internat gewesen sein, ihre letzte Malakofftorte hinter sich gebracht. ...

Mitternachtsblues 

... Zur gleichen Zeit, irgendwo in der Lobau. Dort, wo sich vor bald zweihundert Jahren vielleicht ein paar zum Militär gepresste französische Bauernburschen ein kleines Feuerchen gemacht hatten. Schnaps war sicher auch dabei gewesen. In Sichtweite ihrer Feuerstelle kreuzten sich zwei schmale Wege, welche von der Wache scharf im Auge behalten wurden. Aber die Nacht war ruhig geblieben, denn die Kaiserlich Österreichischen Truppen hatten großmütig darauf verzichtet, ihren Gegnern nachzusetzen.

Es war eine ruhige Nacht so wie jene, in der vier Gestalten an dieser Wegkreuzung auftauchten. Die französische Wache konnte sie freilich nicht sehen, denn Jean Blanc oder Du Pont oder wie immer er geheißen haben mag, war bereits im Jahre achtzehnhundertzwölf vor Moskau in den Schnee gesunken.

Die Lobau ist ein einzigartiges urbanes Biotop. Wochenendlicher Tummelplatz für Jogger, Mountainbiker, Hundebesitzer und Freikörperfetischisten. Im Südosten des Stadtgebietes erstreckt sich diese Landschaft, wo es durchaus möglich war, dass etwas geschehen konnte, was sonst nirgends mehr geschehen mochte. Was dem Mississippidelta seine Bayous, war Wien die Lobau, ein mystisches, von Wasserarmen durchzogenes Waldgebiet. Jedoch ohne Alligatoren, was einen die Gegend nächtens jedoch nicht wesentlich entspannender erleben ließ. Der französische Infanterist sah jedenfalls nichts. Er sah nicht die vier Gestalten, die sich versicherten, dass niemand ihnen gefolgt war. Drei Minuten vor Mitternacht, sternenklarer Himmel.

„Bist sicha, dass' ned Neumond sein muaß?"

„Oba wos! Voimond oda Neumond is wurscht. Um unsa Energie geht's. Vastehst?"

Sie zogen das Instrument aus seiner Tasche.

„Jetz'n spüh wos!"

„Wos'n?"

„Wuascht, spüh!"

Der Gitarrist der Gruppe begann zu spielen. Einer seiner Begleiter zog einen Zettel aus der Tasche und begann, gemeinsam mit den beiden anderen, die noch nichts zu tun hatten, einen selbstverfassten Text herzusagen.

Da Stössa vom Bratfisch,

en Strohmayer sei Klampf'n!

De Baana vom Moser,

und ois guat zastampf'n!

Da Schädl vom Kronprinz,

a Lita Vötlina!

A bissl a Bluat

von a poa echte Wiena!

 

Als sie mit ihrer Beschwörung fertig waren, blickten sie alle vier erwartungsvoll in die Runde.

„Spüh no ans, sicha is sicha!"

Er spielte ein weiteres Stück. Als er fertig war, blickte er abermals fragend in die Runde.

„Drei! Drei Stickl'n muaßt spüh'n!"

„Echt?"

„Freulich! Moch scho!"

Als er auch mit dem dritten Stück fertig war, erfasste allgemeine Ratlosigkeit die Kumpanei.

„Und - kumman is kaana!"

„Host des wirklich glaubt?"

„I waaß ned?"

„Des is eine Allegatorie, vastehst, eine Sage. Und an jeda Sage is wos Woares. Du muaßt des im übertroganen Sinn sehen!"

„Und?"

„Auzind'n!"

„Wos?!"

„Auzind'n miaß ma's!"

„Bist deppat? Waast, wos de Gitarr' wert is?"

„Na und, vakauf'n kaunnst as eh ned!"

„Oiso auzind'n."

Die in der Hitze des Feuers reißenden Saiten klangen wie Todesschreie, und schließlich blieb lediglich ein Haufen Asche an der kleinen Wegkreuzung zurück, und am Morgen des nächsten Tages trampelten fünf Jogger durch die Überreste von Anton Strohmayers Gitarre. Vielleicht würden Reste der Aschepartikel nach dem nächsten New York Marathon vom Pflaster Manhattans in den Hudson gespült werden. Auch so ist das Wienerische imstande, die Welt zu erobern!

„Und du maanst, jetzt spüh ma wia da Wissbauer?", fragte der Harmonikaspieler der sogenannten U-Bahn Combo den Gitarristen, als sie in ihrem altersschwachen Fiat Tipo einen Joint durchzogen, der die Ausmaße von Georg Dänzers G-Klarinette weit überragte. ...

Der Lobauschamane

... Kocek hatte schon immer ein fotografisches Gedächtnis besessen. Er verfügte quasi über ein eingebautes Navigationssystem mit Weckfunktion. Er hatte in seinem Leben vielleicht zweimal verschlafen, in diesen Fällen waren jedoch wiewohl legale, so doch nicht minder sedierende Substanzen, sprich Alkohol, daran beteiligt.

Zu Navigationssystemen bleibt zu sagen, dass diese Bescherung des weltweiten Kommuniktionsterrors zwar einen Segen für Berufschauffeure aller Sparten darstellen mochte, doch den breiten Massen erfolgreich eingeredet wurde, dass sie fürderhin nicht ohne derartiges Equipment leben könnten. Und so findet heute kaum einer mehr ohne Navigationsgerät zum nächstgelegenen Supermarkt. Dort wo früher ein Blick auf den Stadtplan oder die Straßenkarte reichte, erschallt eine weibliche Roboterstimme, die einem mehr oder minder verlässlich den Weg weist.

Kocek vertrat den Standpunkt: „Hätte ich in meinem bisherigen Leben nicht überall hin und auch wieder zurück gefunden, dann wäre ich schließlich heute nicht hier."

So fand er an diesem Nachmittag auch ohne weitere Umstände zur Hütte des Zauberers.

Kucera blickte Kocek verdutzt in die Augen, und der kam ohne lange Umschweife zur Sache:

„Host du den Könna g'mocht?"

„Heans! I woa amoi a Einbrecher. Und ka guata, des wissen S'. I moch kaan, i sackl die Nockatn aus. Mit Gewerbeschein, do schaun S'."

Kucera zog ein verknittertes Stück Papier aus seiner Jackentasche. Nachdem Kocek es vorsichtig entfaltet hatte, entpuppte es sich als Gewerbeberechtigung zur Erstellung von Horoskopen sowie zur Aurainterpretation. Kocek musste lachen, aber der Schein war echt.

„De woin des glaub'n, weu s' an sonst nix mehr glaub'n!"

Nein, Kucera würde niemandem ein Messer ins Herz stoßen, nicht im Affekt und schon gar nicht mit Vorsatz. Und auf gar keinen Fall war er ein Auftragskiller.

Kocek legte das Foto aus dem Prominentenmagazin vor Kucera auf den Tisch, nahm den Kieselstein, den er auf dem Weg aufgehoben hatte, und legte ihn daneben.

„Pass auf! Wenn die Person für die du etwas unternommen hast, auf dem Foto ist, bleibt der Stein, wo er ist, wenn nicht, dann steck ihn ein."

Der Zauberer hielt einige Sekunden inne. Dann stand er mit ächzendem Ausatmen auf, ging zu einem mit einem Vorhang abgetrennten Bereich seiner Hütte, schob den schweren Brokat beiseite und legte sich, abermals ächzend, auf das dahinter stehende Bett. ...

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