Mörderische Gier
Autor: Ernst Hinterberger
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 256 Seiten
Kurzinformation zum Buch
Ein Fall für Trautmann
Vier Ermordete im 20. Bezirk. Drei ältere Damen und ein emeritierter Polizeiinspektor sind brutal getötet worden. Aber was verbindet die „lustige Witwe" mit dem pensionierten Polizisten und den zwei anderen Opfern? Der Täter geht immer in gleicher Weise vor, dennoch lässt sich kein Zusammenhang erkennen - zu verschieden waren die Lebensumstände der Opfer. Trotzdem wittert Trautmann, Wiens Paradekiberer, einen Serientäter ...
Leseprobe aus »Mörderische Gier«
... Das „69er" nannte sich zwar großspurig Singlecafé, war aber ein letztklassiges Lokal, eine Art Auffangstelle für ältere Semester beiderlei Geschlechts aus den unteren sozialen Schichten, denen es nicht gelang, auf andere Weise einen Partner oder eine Partnerin zu finden. Die straßenseitigen Fenster waren mit verblassten Abbildungen von Palmenlandschaften verklebt, in denen sich gut aussehende junge Männer und Frauen an Sandstränden einladend räkelten. Die Männer trugen gut ausgefüllte knappe Badehosen, die Frauen, in noch knapperen Höschen, zeigten vor sich hin lächelnd beeindruckende spitze, große Brüste.
Von solchem Publikum konnte im „69er" keine Rede sein.
Das Lokal war mit größtenteils bereits schäbigen Polstersesseln, die an kleinen Tischen standen, ausgestattet; die Beleuchtung war selbst bei bestem Willen nur spärlich zu nennen. Hinter dem Tresen langweilte sich ein nicht mehr junger Barmixer und ein gorillaähnlicher Kellner pflügte durch das Lokal, der sichtlich auch dafür da war, wenn nötig ungute oder rabiate Gäste hinauszuschmeißen. Es saßen an die zwanzig Gäste, davon mehr als die Hälfte Männer, an den Tischchen - auf denen, was eigentlich längst aus der Mode war, jeweils ein rotes Telefon stand.
Trautmann stellte sich zunächst an den Tresen, bestellte einen Kognak und hielt dem Barmixer eines der kleinformatigen Fotos aus Kronbergers Wohnung hin, das die Frau in aufreizend sein sollender Pose zeigte.
„Kennst du die, Alter?", fragte er den Mann.
Der schaute nur kurz auf das Foto und sagte: „Wenn ja - wer will das wissen?"
Trautmann zeigte seine Dienstkokarde, die an einem Kettchen vom Bund hing. „Die Polizei. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Also reiß dich zusammen."
„Die", nuschelte der Barmann infolge seiner schlecht sitzenden Zahnprothese, „die da ist die Kronberger, eine von die Schnitten, was sich bei uns Männer aufgabeln."
Trautmann nickte, trank seinen Kognak, fand, dass der wie Pisse oder Abwaschwasser schmeckte, schüttelte sich und fragte: „Kommt die oft da her oder eher selten?"
„Manchmal öfter in der Woche, manchmal seltener, Inspektor. Wie ihr halt danach ist. Aber irgendeinen Trottel findet sie sich immer."
Trautmann bestellte sich, um den Kognakgeschmack loszuwerden, ein Bier und rollte sich eine Zigarette.
„Zwei Fragen, Alter: Gibt es unter den heutigen Gästen wen, den sie schon abgeschleppt hat? Und: Wann war sie zum letzten Mal bei euch?"
Der Mann deutete lässig auf drei Männer, von denen einer sich mit einer Frau unterhielt; die zwei anderen saßen allein an ihren Tischchen. „Die drei hat sie sich schon mal unter den Nagel gerissen. Aber ich glaub, jeden nur ein Mal, weil sie wahrscheinlich nicht mehr viel bringen."
Dann zeigte er mit dem Finger auf einen vierten Mann, der ebenfalls allein an einem Tisch saß, und nuschelte: „Den dort, den Schurli, den hat sie allerdings ein paar Mal vergenusszwergelt. Und zum letzten Mal war sie gestern da und hat sich einen, der was noch nie bei uns war, aufgerissen. Mit dem ist sie so gegen elfe oder später weggegangen. Kennt hab ich den Typen, wie gesagt, nicht. Er war aber um ein Haus jünger als wie die Kronberger."
„Aha. Ein Jüngerer. Kannst den beschreiben?"
„Ja ... beschreiben ... So direkt nicht. Er hat halt ausgeschaut wie hunderte Männer in Wien und überall ... Vielleicht, dass er ein bissl kleiner als wie die Kronberger war, aber ziemlich stämmig. Und sonst ..."
„Denk nach, Alter", setzte Trautmann nach. „Hat er ein rundes oder ein langes Gesicht gehabt? Und was für eine Nase? Und Haare - was für eine Farbe?"
„Sein Gesicht ... Mein Gott", nuschelte der Mann hinter dem Tresen, „sein Gesicht war halt wie das von vielen. Eher tät ich sagen mehr rund, aber ein bissl länglich schon auch. Und die Nase ... Durchschnittlich, wie Nasen halt sind. Bart hat er, glaub ich jedenfalls, keinen gehabt. Und dem seine Haare waren ... So genau hab ich nicht hingeschaut und bei der Finsternis da herinnen ... Sie waren irgendwie halblang, vielleicht hinten ein bissl länger, und sie können schwarz oder dunkelbraun gewesen sein, zumindest jedenfalls nicht blond."
„Danke für die genaue Beschreibung", sagte Trautmann und zog sein linkes unteres Augenlid herunter. „Damit hast du mir wirklich sehr geholfen. Ja, und noch was: War der Typ ein Inländer oder Ausländer und was hat er angehabt?"
„Was er angehabt hat ... Keine Ahnung. Und wahrscheinlich war er ..., oder nein, er war sicher ein Unsriger. Ausländer kommen nicht zu uns herein. Die reißen sich ihre fescheren und jüngeren Betthasen ja nicht bei uns auf."
Der Barmann grinste kurz und sagte verächtlich: „Siehst ja, was da bei uns an Weibern herumhockt. Wir sind ja direkt der reinste Schrottplatz."
Trautmann wandte sich ab. Er dachte, dass der Typ mehr oder weniger recht hatte. Der Frauenaufmarsch im „69er" war tatsächlich traurig. Aber andererseits waren auch die anwesenden Männer keine Vorzeigefiguren.
Natürlich war die Beschreibung des Barmixers vom gestrigen Galan Kronbergers wertlos. So wie es allgemein beim Arsch finster war. Gesicht rund oder länglich, Nase, wie sie die meisten Leute hatten, Haarfarbe zumindest nicht blond, eher dunkel, und der Haarschnitt halblang, vielleicht hinten etwas länger. Jünger als die Kronberger, stämmig und bartlos. So schauten tausende Männer in Wien aus.
Trautmann ging zu dem Tisch, an dem der Mann saß, den der Barmann Schurli genannt hatte. Er zeigte ihm seine Dienstkokarde und sagte: „Kriminalpolizei, Abteilungsinspektor Trautmann. Ich möchte ein paar Worte mit Ihnen reden."
Der Mann schaute Trautmann an und der merkte, dass Schurli leicht nach auswärts schielte.
„Was wollen S' denn von mir? Ich hab mit der Polizei noch nie nichts zu tun gehabt. Was und warum wollen S' denn mit mir reden?"
Trautmann setzte sich, zog sein Notizbuch, das eigentlich ein zerfledderter Taschenkalender aus dem Jahr 2002 war, aus der Tasche - und seinen Kugelschreiber mit der Aufschrift „Werner Faymann SPÖ" und einem angekreuzten Kreis.
Er hatte ein gutes Dutzend dieser Kugelschreiber, die er bei einer öffentlichen Wahlwerbung auf dem Karmelitermarkt eingesteckt hatte, noch immer in Gebrauch - obgleich er bei der betreffenden Wahl auf dem Wahlzettel keine Partei angekreuzt, sondern quer über das Papier „Alles Pfeifenstierer" gekrakelt hatte.